Der folgende Text dient als eine Art Neuinterpretation des Konzepts `Copypasta´, mit dem Unterschied, dass dieser Text aus keiner anonymen Quelle entstanden ist, sondern von einer realen Person im Jahr 1899 veröffentlicht wurde. Der Ausgangstext ist somit heute gemeinfrei zugänglich. Meine Intention dabei ist, den Text in einen neuen Rahmen und anderen Kontext zu packen, die da wären: Bildung und Internet. Es ist möglich, sich auch mit extrem schlimmen, widerwärtigen, ekligen und grausamen Informationen zu befassen, und der folgende Text ist sehr eklig, widerwärtig und enthält teilweise grausame Gedanken. Das Internet ist für solche Informationen ein hervorragendes Biotop, wo wir doch heute ständig hören, was für ein schrecklicher Ort das Internet geworden ist…
Hey, du neuer Leser, sei nicht abgeschreckt, es besteht kein Lesezwang, aber es ist ein sehr bedeutsames und ausdrucksstarkes Werk und soll angeblich Kafka für sein Werk „In der Strafkolonie“ inspiriert haben. Der Trick dabei ist, trotz des Ekels den sachlichen Blickwinkel nicht zu verlieren (diesen beobachtenden Blickwinkel; was macht den Text so bedeutsam? Auch in anderen Online-Situationen gilt es, kühlen Kopf zu bewahren, nach dem Textauszug von mir mehr dazu)…
Übrigens findet man sowohl „Mirbeau“ als auch „Mirabeau“ als Namensangaben im Internet, verzeiht mir die Unwissenheit!
Achtung, explizite Sprache!
Octave Mirabeau: Der Garten der Qualen
„Und von dieser entzückenden Flora hoben sich Schaffote, Kreuzigungsbalken, Galgen, die in schreienden Farben gemalt waren, schwarze Schandsäulen, an deren Gipfel scheußliche Dämonenmasken grinsten, hohe Pranger für die einfache Erwürgung, niedrigere kunstvoll eingerichtete Galgen zur Zerstückelung der Leiber. Auf dem Gestell dieser Qualsäulen befand sich ein Blüthenmeer von Ipomeen und Daurien, von Lophospermen, von Coloquinten, die mit teuflischem Raffinement zwischen Clematiten und Atragenen an gebracht waren … Und die Vögel sangen hier ihre Liebeslieder.
Am Fuße eines dieser Galgen, dessen Umgebung gleich einer Gartenterrasse mit Blumen bepflanzt war, saß ein Henker, sein Besteck von Marterwerkzeugen zwischen den Beinen, und reinigte seine Stahlinstrumente mit Seidenfetzen; sein Kleid war mit geronnenem Blut befleckt, die Hände schienen förmlich rothe Handschuhe zu tragen. Rund um ihn schwirrten und summten, ganz wie um ein Aas, Fliegenschwärme … Aber in dieser Umgebung von Blumen und Wohlgerüchen war das weder widerwärtig noch schrecklich. Man hätte sagen können, daß auf sein Kleid ein Regen von Blüthen von dem benachbarten Quittenbaum niedergegangen sei. Übrigens hatte er einen friedlichen, faulen Bauch. Sein Gesicht drückte in dem ruhigen Zustande, in dem er sich befand, freundliche Ehrbarkeit, sogar Jovialität aus, die Jovialität eines Chirurgen, der eine schwierige Operation glücklich ausgeführt hat. Als wir dicht an ihm vorüberkamen, blickte er auf und grüßte uns höflich.
Clara redete ihn in englischer Sprache an.
– Es ist zu bedauern, daß Sie nicht vor einer Stunde gekommen sind, sagte der gute Mann, da hätten Sie einen sehr schönen Vorgang zu sehen bekommen, den man nicht alle Tage vor Augen hat … Eine außergewöhnliche Leistung, Mylady! … Ich habe einen Menschen umgestaltet vom Kopf bis zum Fuße … nachdem ich ihm die ganze Haut vom Leibe gezogen hatte … Er war so schlecht gebaut … Hahaha! …
Sein Bauch, der von dem Lachen geschüttelt wurde, schwoll an und leerte sich wieder mit einem dumpfen Geräusch von Blähungen. Ein nervöses Zucken verzog ihm die Mundwinkel bis zum Wangenbein, gleichzeitig wurden durch dieselbe Bewegung die Augenlider herabgezogen bis zu den Lippen, fast zwischen die dicken Falten der Haut. Es war eine Grimasse – eine Summe von Grimassen – die seinem Gesicht einen Ausdruck komischer und gespenstischer Grausamkeit gaben. Clara fragte:
– Also war er es ohne Zweifel, dem wir, soeben begegneten?
– Ach! Sie sind ihm begegnet? rief der gute Kerl geschmeichelt … Na also! Was sagen Sie dazu? …
– Es war schauderhaft! rief Clara mit ruhiger Stimme, die dem Abscheu ihrer Äußerung widersprach.
Darauf setzte der Henker uns auseinander:
– Es war nur ein elendiglicher Kuli des Hafens … ein Nichts, Mylady … Sicherlich verdiente er nicht die Ehre, die man ihm mit einer so schönen Arbeit anthut … Er hatte einen Sack Reis, glaube ich, Engländern gestohlen … unsern lieben guten Freunden, den Engländern … Als ich ihm die Haut vom Leibe gezogen hatte und sie nur noch durch zwei kleine Knöpfchen an den Schultern festgehalten wurde, zwang ich ihn einige Schritte zu machen. Mylady! … Hahaha! … Das war wirklich eine vorzügliche Idee! … Man konnte sich vor Lachen bei dem Anblick krümmen … Es war, als ob er auf dem Leibe … wie nennen Sie doch dieses Ding? … ach ja richtig … einen Mac-Ferlan trüge … Nie war er so schön bekleidet gewesen, der Hund, noch durch einen kunstverständigeren Schneider … aber seine Knochen waren so hart, daß ich einige Zähne meiner Säge ausgebrochen habe … dieser hübschen, kleinen Säge, die Sie hier sehen.
Ein kleines, weißliches, fettiges Stück Fleisch war zwischen den Zähnen der Säge hängen geblieben … Er schnellte es mit einem Schlage des Fingers nochmals weg, so daß es auf den Rasen mitten unter die Blümlein flog.
– Das war Hirn, Mylady! … rief der lustige Biedermann … Kostbar scheint es gerade nicht zu sein …
Kopfschüttelnd fügte er hinzu:
– Man trifft überhaupt selten etwas Kostbares, denn wir arbeiten fast immer mit niedrigem Volke …
Dann bemerkte er noch mit einem Ausdruck ruhiger Befriedigung:
– Gestern lieferte ich, meiner Treu, eine recht merkwürdige Arbeit … Ich habe aus einem Manne ein Weib gemacht … Hehehe! … Jeder hätte sich bei dem Anblick täuschen können … Und ich habe mich versuchshalber getäuscht … Wenn die Genien es mir gestatten wollen, diese hohe Gnade, daß ich morgen am Richtplatze eine Frau finde, so würde ich daraus einen Mann machen … Das ist schon schwieriger! … Hahaha! …
Bei der Anstrengung eines neuen Lachens zitterten sein dreifaches Kinn, die Falten seines Nackens und der Bauch wie Gelatine; eine einzige rothe, gebogene Linie verband da die linken Mundwinkel mit dem Ende seine geraden Augenwimpern, inmitten von tausend Runzelchen und Narben, durch die in winzigen Streifen Schweiß und Thränen, die er vor Lachen vergoß, herabrannen.
Er steckte die gereinigte Säge, die nun hell leuchtete, in den Kasten und verschloß ihn. Dieses Behältnis war herrlich in wundervollem, lackirtem Holz ausgeführt. Eine der Abbildungen darauf stellte einen Flug von Wildgänsen oberhalb eines nächtlichen Sumpfes, dessen Lotusblumen und Schwertlilien der Mond silbern beleuchtete, dar.
In diesem Augenblick warf der Schatten des Galgens auf den Leib des Henkers einen bläulichen, senkrechten Strich.
– Glauben Sie, Mylady, fuhr der geschwätzige Biedermann fort, unser Beruf verliert gleich unseren schönen Töpfereien, unseren herrlichen Seidenstickereien und unseren schönen Bildern immer mehr … Wir wissen heute fast nicht mehr, was eine wirkliche Qual ist … Obwohl ich mir alle Mühe gebe, die ehrwürdigen Überlieferungen aufrecht zu erhalten, so bin ich trotzdem machtlos und kann doch nicht ganz allein den Niedergang aufhalten. Was soll ich thun? Die Henker werden heutzutage Gott weiß wo rekrutirt, es gibt keine Examen, keinen Wettbewerb mehr … nur Protektion und Begünstigungswesen entscheidet über die Auswahl … Natürlich fällt die Auswahl darnach aus, wie Sie sich denken können. Es ist wirklich eine Schande! Früher betraute man diese bedeutenden Machtbefugnisse nur erklärten Männern der Wissenschaft an, verdienten Leuten, die zur Vollendung die Anatomie des menschlichen Körpers kannten, die Diplome besaßen, Erfahrung oder natürliches Genie. Heute ist das alles zum Teufel gegangen. Der letzte Schuhflicker bildet sich ein, diese ehrwürdige und schwierige Stellung ausfüllen zu können. Es gibt weder Hierarchie noch Überlieferungen mehr! Alles vergeht … Wir leben in einem Zeitraum des Niederganges … Ja, Mylady, es gibt in China eine Art Fäulniß, es ist etwas faul im Staate China …
Er seufzte tief, wies auf seine tiefrothen Hände, dann auf das Behältniß, das am Rasen glänzte, und fuhr fort:
– Dennoch suche ich so gut wie ich kann, mich zu bethätigen und wie Sie sahen, unseren verlorenen Ruhm wieder auf die alte Höhe zu heben. Denn ich bin ein richtiger konservativer, ein national gesinnter Mann, der sich nicht vom rechten Wege abbringen läßt. Mich widern alle diese Machenschaften, alle diese neuen Moden an, die uns unter dem Vorwande der Civilisation von den Europäern und insbesondere von den Engländern herbeigebracht werden. Oh! Ich will den Engländern sonst nichts Schlimmes nachsagen, Mylady, es sind ehrenwerthe Leute, die die höchste Achtung verdienen. Doch muß ich zugestehen, daß ihr Einfluß auf unsere Sitten jammervolle Folgen hatte. Tagtäglich nehmen sie unserem China etwas von seinem außergewöhnlichen Charakter fort … Nur was den Gesichtspunkt der Qualen allein betrifft, Mylady, so haben sie uns bereits unendlich viel geschadet … unendlich viel … Das ist sehr, sehr schade! …
– Sie verstehen sich jedoch auch darauf, unterbrach ihn Clara, die dieser Vorwurf in ihrer Vaterlandsliebe und nationalen Eitelkeit verletzt hatte. Denn es beliebte ihr wohl, sich selbst sehr hart gegen ihre Landsleute, die sie im Grunde verabscheute, auszusprechen, aber sie wollte, daß andere sie durchaus achteten.
Der Henker zuckte die Achseln und kam durch sein nervöses Gesichtszucken dazu, auf seinem Gesichte die bestimmt komischeste Grimasse zu Stande zu bringen, die wohl je auf einem menschlichen Antlitz zu erblicken war; und während wir nur mit großer Mühe einen Ausbruch von Lachen zurückhielten, erklärte er in autoritären Tone:
– Nein, Mylady, darauf verstehen sie sich absolut nicht. In dieser Hinsicht sind sie wirklich zurückgebliebene Wilde … Sehen Sie mal an, zum Beispiel in Indien – und wir wollen nur von Indien sprechen – was für eine grobe, kunstlose Arbeit ist dort geliefert worden! … Und wie thöricht, ja wie thöricht hat man dort mit dem Tode Verschwendung getrieben! …
Er faltete seine blutigen Hände wie zu einem Gebet, hob die Augen gen Himmel und fuhr mit einer Stimme, in der eine ganze Summe von Bedauern und Weinen zu liegen schien, fort:
– Wenn man bedenkt, Mylady, was für bewundernswerthe Leistungen da drüben auszuführen waren, an die man sich gar nicht herangewagt hat und die auch nie geliefert werden können … das ist unverzeihlich …
– Ach was! widersprach Clara, … Sie wissen ja nicht was Sie sagen …
– Die Genien sollen mich zur Hölle tragen, wenn ich lüge! rief der dicke Biedermann aus …
Und mit langsamer Stimme, mit lehrreichen Bewegungen begleitet, fuhr er in seinem Colleg fort:
– Im Punkte der Qualen, wie in jeder anderen Hinsicht sind die Engländer keine Künstler. Alle Fähigkeiten, die nur möglich sind, Mylady, sind ihnen eigen, aber kein Kunstverständniß! … Nein! Dreimal nein! …
– Ach, gehen Sie doch! Sie haben die ganze Menschheit zum Weinen gebracht! …
– Aber sehr schlecht, Mylady, sehr schlecht … berichtete der Henker … Die Kunst besteht nicht nur darin, viel zu töten, zu erwürgen, zu massacriren, niederzumachen, im Block, so massenhaft, mit einem Schlage ein ganzes Menschenmaterial … Nein, wahrhaftig! Das ist zu einfach! … Die Kunst, Mylady, besteht darin, daß man zu töten versteht und zwar nach den Riten der Schönheit, deren göttliches Geheimnis wir Chinesen allein kennen … Zu töten verstehen! … Nichts ist seltener und alles ist darin enthalten … Zu töten verstehen! … Ich will damit sagen, menschliches Fleisch zu bearbeiten, wie ein Bildhauer seinen Thon oder ein Stückchen Elfenbein, daraus die ganze Summe, die ganze Wunderwelt von Leiden herauszuholen, die sich im Grunde seiner Schatten und Geheimnisse verbirgt … Das ist es! … Und dazu ist Wissenschaft, Abwechselung, Eleganz und Erfindungsgeist nöthig, kurz Genie … Aber all das geht heutzutage verloren … Das westliche Geckenthum überfluthet uns, die Panzerschiffe, die Schnellfeuerkanonen, die weittragenden Gewehre, die Elektricität, die Sprengstoffe … was weiß ich?.. Alles das macht den Tod allgemein. Es führt ihn im Verwaltungswege, im Subalterndienst herbei. Kurz, alle die Schmutzereien Eures Fortschrittes verderben nach und nach unsere schönen Überlieferungen aus der Vergangenheit … Nur noch in diesem Garten werden sie schlecht und recht bewahrt, wo wir sie wenigstens einigermaßen am Leben zu erhalten suchen. Aber mit welchen Schwierigkeiten! Wie viel Hindernisse sind zu überwinden! Was für einen ständigen Kampf gibt es! Davon haben Sie keinen Begriff! Leider fühle ich, daß es überhaupt nicht mehr lange gehen wird. Wir sind durch die Mittelmäßigkeit besiegt, der spießbürgerliche Geist triumphirt allenthalben.“
…explizite Sprache zu Ende…
Merkst du es? Da ist diese Blockade, die daraus entsteht, sich das alles lieber gar nicht so genau ausmalen zu wollen, damit der eigene mentale Zustand stabil bleibt. Jedoch ist es meines Erachtens möglich, sich dieser Sache mit einer Art wissenschaftlichem Interesse anzunehmen, ohne dabei den eigenen Emotionen freien Lauf zu lassen, aber auch ohne innerlich zu blockieren. Das ist der mutigste Kompromiss, den man meiner Meinung nach eingehen kann.
Prinzipiell halte ich es für wichtig, jede gewaltsame, grausame oder in irgendeinem Sinne negative oder böse Darstellung zu akzeptieren. Es gibt Tolerieren und es gibt Akzeptieren. Homophobie ist schwer zu akzeptieren, aber toleriert werden sollte sie nicht immer, spätestens dann nicht, wenn sie jemandem schadet. Und auf keinen Fall sollte beispielsweise ein Köpfungsvideo des sogenannten Islamischen Staats toleriert werden, es muss nach befundener Echtheit aber akzeptiert werden können. Ebenso muss Hetze akzeptiert werden, damit dagegen vorgegangen werden kann. Bei Hetzrede besteht das Akzeptieren in nicht viel mehr als im Akt des Registrierens, aber man muss sich zwangsläufig mit deren Inhalt auseinandersetzen, um der Hetze auf faktischer Ebene entgegen zu arbeiten. Behalte das, es ist sehr wichtig.
…für weiterführende Informationen zum Ausgangstext von Mirabeau siehe hier (googlen hilft aber auch).
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