Deine Äußerung. Zu provokant, zu anspruchsvoll an die Moral des Pöbels, zu sophisticated für die breite Masse. Zu missverständlich. Zu viel Inhalt für eine Beschränkung von 140 Zeichen.
Langsam wird die erste Scheiße losgetreten. Antworten treffen ein, wie z. B. die exponentiell geäußerte Behauptung, man sei nicht im Besitz seines vollen Verstandes, würde hart erarbeitetes Steuergeld verschwenden oder man würde generell minderbemittelt sein. Diese aus der Luft gegriffenen Behauptungen werden gelikt, weiter geteilt und so weiter, bis deine Äußerung größere Aufmerksamkeit erhält. Es entsteht der kollektive Hype, deine Äußerung kacke zu finden.
Um auf den Hypetrain aufzuspringen und aus der Situation möglichst viel Eigenkapital in Form von Likes, Followern und Aufmerksamkeit herauszuheucheln, berichten einige Onlinemagazine über dich. Auch wenn du vorher für sie völlig uninteressant warst oder gar nicht zur Kenntnis genommen wurdest, behandeln sie dich jetzt wie das letzte Stück Scheiße.
Irgendwann berichten die mehr etablierten Medien des Internets über dich. Sie bemühen sich vielleicht, deine Äußerung und die Reaktionen in einem einigermaßen differenzierten Artikel darzustellen. Inzwischen ist die Aufmerksamkeit, die deine Äußerung hervorgerufen hat, riesengroß.
Wenn der Sturm aus Scheiße, diese beschissene Situation, über dich hinweggefegt ist, bist du erstmal wieder sauber. Die Aufmerksamkeitsspanne eines durchschnittlichen Nutzers in Social Media beträgt nach dem ersten großen Aufreger nur wenige Stunden, höchstens 24.
Danach kann es jedoch passieren, dass dein Ruf einen bleibenden Schaden erhalten hat. Eventuell entwickelt sich deine Äußerung zu einem aus seinem ursprünglichen Kontext gerissenen Meme, an dass sich noch für viele Jahre die Satiriker und zurückgebliebene Personen erinnern.
Also lieber den Mund halten, bevor du im Internet eine Äußerung tätigst, wofür du dann noch ewig angekackt wirst. Außer du glaubst, mit deinen Worten tatsächlich etwas verändern zu können. Aber das haben Worte ja so an sich, dass sie, wohl gesetzt, durchaus ein Veränderungspotenzial besitzen.