In der Nähe der Mercedes-Benz-Arena war es am Abend zu einer Explosion gekommen. Obwohl ich zum Zeitpunkt der Detonation in der Arena war, bekam ich von der ganzen Sache erst über Twitter etwas mit, beziehungsweise von den ganzen Leuten, die mir schrieben und fragten, ob bei mir alles in Ordnung sei.

Aber ja, antwortete ich.

Die Leute sagten, ich solle mal gucken, was bei Twitter los sei. Dort waren in den Trends die Wörter „Explosion“, „Arena“ und „Berlin“ ziemlich weit oben, erste Eilmeldungen von der Berliner Polizei wiesen darauf hin, dass es wohl in unmittelbarer Nähe der Mercedes-Benz-Arena zu einer Explosion gekommen sei. Die Leute sollten zu Hause bleiben.

Keine Panik, dachte ich. In der Arena selbst dürfte so ziemlich der sicherste Ort sein.

Ich erinnerte mich an die massiven Sicherheitskontrollen vor dem Konzert. Da wurde jemand extra aus dem allgemeinen Zuschauerstrom herausgezerrt, weil er einen Bart hatte und arabisch aussah.

Wie rassistisch und fremdenfeindlich, dachte ich, und einige andere sagten das auch.

Das Sicherheitspersonal blieb aber gelassen und vermittelte einen souveränen Eindruck von knallharten Typen, die wussten, wie sie ihre Arbeit machten.

Acht Tote, schrieb Spiegel Online, mit Berufung auf einen Sprecher vor Ort. Ein Täter sei wohl mit einem Auto in die Absperrungen, die anlässlich des Konzerts aufgestellt worden waren gerast, habe eine Bombe im Auto gezündet und dabei sowohl sich selbst, wie auch einen Ordner, zwei Sicherheitsleute und fünf Besucher getötet. Es würde nach Komplizen gesucht.

Das wird sich hoffentlich nachher alles wieder beruhigt haben, dachte ich.

Die Mehrheit der Zuschauer war sich ihrer besonderen Lage wohl noch nicht bewusst und gab sich nach wie vor der Musik hin. Als das Konzert zu Ende war, ging es aber richtig los. Alle hingen an ihren Apparaten, telefonierten, verschickten Sprachnachrichten auf Whatsapp, snappten – auf Twitter hatte sich währenddessen ein ganz eigener Konsens entwickelt, von Leuten, die meinten, Merkel sei Schuld. Einige meinten das ernst, andere sagten genau das Gleiche, meinten es aber gar nicht so. Einige fremdenfeindliche und islamophobe Idioten behaupteten, dass grüne Politiker von dem Anschlag im Voraus gewusst hätten. Andere twitterten sofort, sie würden sich schon auf die rassistischen, fremdenfeindlichen und islamophoben Tweets unter dem Hashtag #mbenzarena freuen, wieder andere behaupteten, ihre Gedanken seien in Berlin bei den Opfern und ihren Angehörigen.

Das alles half mir recht wenig.

Die erhöhte Polizeipräsenz vor der Arena verunsicherte die Leute zusehends. Bald hatte keiner mehr die Musik in den Ohren, sondern blickte ängstlich umher und beeilte sich, nach Hause zu kommen. Der Shuttle-Bus zum Hauptbahnhof war sehr überfüllt, aber niemand war in Feierlaune, die entsetzten Gesichter spiegelten sich in den dunklen Fensterscheiben. Niemand war laut, alles sprach in gedämpftem Ton, tippte, schwieg.

Über den Hintergrund der Tat wurde immer noch spekuliert. Dass es ein Selbstmordattentäter war, würde ja auf einen islamistischen Hintergrund hinweisen, meinten die ernsthaft islamophoben Idioten unter #mbenzarena auf Twitter. Die Polizei ging vorerst nur allgemein von einem terroristischen Hintergrund der Tat aus. Ein Tweet von @MercedesBenz, der den Angehörigen der Opfer tiefstes Beileid versicherte, war unter #mbenzarena zum Toptweet avanciert.

Wie viel Sympathie sich Mercedes-Benz damit jetzt wohl sichert, dachte ich.

Das Profil der konzertgebenden Band wies keine neuen Tweets auf, ihr letzter Tweet war von vor einigen Stunden und beinhaltete einen Teaser für das eben stattgefundene Konzert. Über die Band wurde auch gar nicht diskutiert, es ging eigentlich nur um Mercedes-Benz und um irgendwelche Updates der Polizei und um Eilmeldungen sämtlicher Liveticker der Online-Medien. Einige Politiker hatten ebenfalls schon ihr Beileid verkündet. Der US-Präsident hatte den Vorfall auf Twitter bereits als „terrible“ bezeichnet, aber nicht ohne den Anschlag in Zusammenhang mit den Anschlägen der vergangenen Monate in Europa zu bringen und zu bemerken, Europa, besonders Deutschland, sei viel unsicherer geworden.

Die eigentliche Wendung kam erst ein paar Tage später, als ein Mercedes-Benz-Insider berichtete, der Anschlag sei von Mercedes-Benz aus Publicity-Gründen geplant worden. Viele waren eher skeptisch gegenüber dieser These, auch weil sie von Mercedes-Benz sofort dementiert wurde. Nichtsdestotrotz hatte Mercedes-Benz durch die ganze Sache etwas mehr an virtuellem Einfluss bekommen, in Form von Traffic, Followern und so weiter.

Vielleicht, dachte ich, vielleicht war das ja wirklich nur eine grausame PR-Aktion.

Jedenfalls verschaffte die Sache Mercedes-Benz ungeheuer viel Aufmerksamkeit, ohne in erster Linie einen konkreten Nachteil für die Firma darzustellen. Wie viele potenzielle Käufer durch das Lesen von Schlagzeilen unterbewusst beeinflusst wurden, ließ sich sehr schwer feststellen, aber bestimmt waren es einige. Dies wäre allerdings eine völlig neue, revolutionäre Dimension, die die Werbung in unserem Leben einnehmen würde. Tödliche Werbung. Noch echter. Noch wirkungsvoller. Die Zivilisation frisst ihre Kinder.

Ein Bericht der Polizei förderte jedoch nichts Neues zu Tage – die Identität des Täters war als eindeutig Deutsch bestimmt worden, extremistische oder terroristische Verbindungen gab es keine. Das Tatauto sei übrigens von der Konkurrenz gewesen – BMW.


Das Beitragsbild ist von hier. Die Rollenverteilung erfolgte in diesem Text rein zufällig – Mercedes-Benz ist genauso gut wie BMW oder jede andere Automarke und genauso gut wie der Islam oder jede andere Religion.

Ein Gedanke zu “Bad Publicity

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